Wunschgroßeltern: nicht verwandt, trotzdem verbunden
Gemeinsam Plätzchen backen und abends noch schnell die Bratpfanne für Pfannkuchen anschmeißen, weil das Enkelkind den ersten Liebeskummer hat – die Rolle, die Großeltern im Leben eines Kindes einnehmen, ist einmalig und prägend. Ich erinnere mich beispielsweise an den allerbesten Milchreis der Welt. Es war einfach nur normaler Milchreis. Er war noch nicht einmal gesüßt, aber es war der beste Milchreis der Welt, denn er war von meiner Oma gekocht. Mein Opa aß ihn mit einem riesigen Löffel und riss den Mund dazu für meine Kinderaugen unglaublich weit auf. Ich habe das Besteck meines Opas immer noch. Von meiner Oma habe ich irgendwo noch eine scheußliche lila Brosche, die ihren Wert einfach dadurch innehat, dass sie meiner Oma gehörte. Manchmal verstanden mich meine Mutter und mein Vater nicht, dann ging ich halt zu meiner Oma. Ob sie mich immer verstand, weiß ich nicht, aber sie ließ mich so sein, wie ich eben war.
Manche Kinder haben keinen oder nur eingeschränkten Kontakt zu ihren Großeltern. Das kann mehrere Gründe haben: familiäre Zerwürfnisse, Desinteresse, räumliche Entfernung oder mangelnde Zeit zum Beispiel. Unseren Kindern fehlt der Großelternkontakt auf der einen Familienseite komplett. Für meine Kinder wünschte ich mir dennoch unvergessliche Erlebnisse mit Großeltern, das Gefühl von Geborgenheit und weitere Bezugspersonen, die sie beim Großwerden emotional begleiten wollen.
Als ich gerade ernsthaft ein Zeitungsinserat in Erwägung zog, begegnete ich einer Wunschelterninitiative in unserer Stadt. Wir bekundeten Interesse, was form- und problemlos möglich war. Eine ältere Dame würde gut zu uns passen, wurde uns mitgeteilt.
2014 saßen wir im Wohnzimmer besagter Dame, deren Hunde einen besonderen Stellenwert bei ihr einnahmen. Irgendwie würde sie sich für diese auch mehr Begeisterung von unserer Seite wünschen, gab sie zu verstehen, und es blieb bei einem einmaligen Treffen.
Erst 2018 wagten wir einen neuen Versuch. Der erste Kontakt mit dem großelterlichen Paar war schriftlich. „Also, wir haben drei Kinder, und 2017 hatte ich Krebs.“ Das wollte ich erwähnen, falls das ein Problem sein sollte. Ach, das wäre doch alles in Ordnung, hieß es, und so trafen wir uns gemeinsam mit den Kindern an einem See zum Picknick. Am Abend erhielt ich eine
E-Mail: „Also drei Kinder wären dann doch ganz schön viel“, schrieb mir die Frau, „und eine Krebserkrankung in der Familie ist uns eine Hausnummer zu groß.“
Einen Versuch wagten wir schließlich noch: In der Großstadt gab es ein Zentrum zur Vermittlung von Wunschgroßeltern. 10 Euro zahlte man für die Vermittlungsbemühungen. Schließlich saßen wir mit einer netten Frau mittleren Alters an einem Tisch, die zu ihrem leiblichen Enkelkind nur spärlichen Kontakt hatte und den Wunsch verspürte, ihre Großmutterrolle dennoch auszuleben.
Wir trafen uns auf Spielplätzen, bei dem Großelternpaar zuhause oder zu Spaziergängen. „Die Kinder streiten sich zu häufig. Das geht so nicht“, hieß es irgendwann, gefolgt von „Deine Tochter muss mehr reden. Das geht so nicht“. Ich brachte meine Werte zum Ausdruck, meine Kinder da zu unterstützen, wo ich auch Unterstützungsbedarf sehe, aber ich möchte sie im Grunde mit ihrer Persönlichkeit und ihren Eigenarten annehmen, wie sie sind. Die Wunschgroßmutter meldete sich im Anschluss an diese Kommunikation nie wieder. Der schale Beigeschmack besteht bis heute. Vorläufig sehen wir daher davon ab, uns weiter in Richtung Wunschgroßeltern auf die Suche zu begeben.
Das Konzept „Wunschgroßeltern“ finde ich weiterhin genial: Großeltern ohne eigene Enkel oder mit hinreichend Zeit und Liebe für weitere (Wunsch-)Enkel können ein prägender Teil eines aufwachsenden Kindes werden, was eine Bereicherung für alle Beteiligten darstellen kann.
Wichtig ist es sicherlich, im Vorfeld zumindest eine grobe Passung der gegenseitigen Vorstellungen vorzunehmen: Benötigen die Eltern eher praktische Unterstützung und Entlastung bei der Alltagsgestaltung oder stehen die bindungsspezifischen und emotionalen Aspekte im Vordergrund? Möchten die Wunschgroßeltern ein braves Wunschenkelkind, um in eine visualisierte Bilderbuchgroßelternrolle schlüpfen zu können, oder können sie die Kinder als Individuen mit Ecken und Kanten akzeptieren? Letztlich treffen auch hier Menschen mit Vorgeschichte und Persönlichkeit auf ebensolche Menschen, aber mit ein bisschen Glück, Ausdauer und Bemühen können sicher lebenslange Herzensverbindungen entstehen.