Und plötzlich ist (fast) alles anders
Körperliche Behinderung nach einem Unfall oder Schlaganfall
Sich in der neuen Realität zurechtzufinden, dauert seine Zeit. Auch wenn der Schmerz über die Verluste einiger körperlicher Fähigkeiten wie etwa Laufen noch lange anhalten mag, so gibt es Hilfe und Unterstützung – man muss sie nur annehmen (wollen).
Ein schwerer Unfall mit dem Motorrad/Auto/Fahrrad etwa von der oder zur Arbeit, eine marode Halterung an der Wanderbrücke oder am Balkon – unachtsam, fremd- oder eigenverschuldet, plötzlich – und binnen Sekunden ist nichts mehr so, wie es vorher war. Nicht nur das eigene Leben ändert sich von jetzt auf gleich mitunter radikal, sondern in den meisten Fällen auch das der Angehörigen.
Aber auch ein plötzlich eintretender Schlaganfall kann das Leben aller beeinflussen. Nicht mehr gehen oder greifen zu können, bedeutet, dass eine Rückkehr in das alte, gewohnte Leben kaum mehr möglich ist. In Deutschland erleiden jährlich ca. 270 000 Menschen einen Schlaganfall, der die häufigste Folge für Behinderungen im Erwachsenenalter ist, nachzulesen auf www.schlaganfall-hilfe.de.
Aufgrund der zunächst oft auftretenden, traumatischen Schockstarre prasseln nicht sofort, aber im Laufe des Prozesses der Realisierung des Geschehenen sowohl auf Betroffene wie auch auf Angehörige Fragen über Fragen wie ein stürmischer Regen regelrecht hernieder: Was passiert nach dem Klinikaufenthalt? Welche Reha und wie lange? Ist eine psychologische Betreuung wirklich hilfreich und, wenn ja, wo findet man passende Anlauf- und Beratungsstellen? Wie gehen die Kinder mit der plötzlich eingetretenen Behinderung um? Wo gibt es Austausch mit Betroffenen im Netz?
Wir wollen versuchen, diese Fragen so gut es geht zu beantworten – ohne abschließende Gewähr, denn dafür sind diverse Experten wie etwa Ärzte, Physio- und Psychotherapeuten oder Sachverständige von Berufsgenossenschaften oder der Krankenkassen zuständig. Außerdem ist auch immer der individuelle Anspruch oder Wille des/der Betroffenen sowie der Angehörigen entscheidend.
Klinikaufenthalt und anschließende Reha
„Geduld kann ich, aber nur kurz“ – bei dieser Redewendung wird die eine oder der andere zustimmend nicken.
Notaufnahme, OP bzw. Stroke Unit bei Schlaganfallpatienten, Station und im Idealfall die direkte Verlegung in die Rehaklinik. Je nach Intensität der Folgeschäden von Unfall bzw. Schlaganfall können zwischen dem gewohnten, alten Leben und der Entlassung in die neue Wirklichkeit mindestens vier bis fünf Wochen ins Land gehen, wenn es keine Verlängerung des Aufenthalts gibt. Für manche/n mag das eine endlos lange, quälende Zeit sein. Für andere wiederum viel zu wenig, um sich auf die neuen Begebenheiten einstellen zu können, von denen man vorher höchstens mal was aus dem familiären, sozialen oder beruflichen Umfeld gehört hat.
Nicht selten muss man danach wieder vieles neu lernen, was zur Mammutaufgabe werden kann. Kleine Ziele setzen, Stück für Stück. Und sich mit viel Disziplin und Motivation dank neuropsychologischer und medizinischer Unterstützung „wieder ins Leben zurückkämpfen“.
Psychologische Betreuung – Anlauf- und Beratungsstellen für Betroffene
Ein Unfall oder ein Schlaganfall – beides bringt schwerwiegende Folgen mit sich. Eine der wohl wichtigsten ist zu lernen, mit den nun vorhandenen körperlichen Einschränkungen im „Danach“ leben zu müssen. Ein Gefühl von völliger Macht- und Hilflosigkeit macht sich nicht selten breit und belastet die Psyche. Die Tagesstruktur, an die man sich über die Jahre gewöhnt hat, bricht weg. Plötzlich braucht man selber Hilfe. Dies stellt mitunter eine enorme Umgewöhnung dar – ein Prozess, der andauern kann. Hinzu kommt die schier unendlich dauernde Trauer über den Verlust der eigenen Fähigkeiten, was nur nach und nach verarbeitet werden kann.
Nicht nur während des Klinikaufenthalts und der anschließenden Reha, sondern und vor allem im täglichen Leben kann die Inanspruchnahme psychologischer Betreuung äußerst hilfreich sein – unbedingtes Vertrauen und Offenheit auf beiden Seiten vorausgesetzt. Der Besuch von Angeboten örtlicher und/oder überörtlicher Anlauf- und Beratungsstellen wie etwa die sogenannte Behindertenhilfe der Diakonie, Caritas, DRK, Lebenshilfe oder der Bundesverband für körperlich- und mehrfachbehinderte Menschen e. V. (bvkm) kann im Einzelgespräch oder auch in Gruppensitzungen erfolgen. Immer unter dem Aspekt, was dem oder der einzelnen Betroffenen im Moment der Inanspruchnahme guttut. Auch Angehörige sind willkommen.
Zudem gibt es sogenannte Behinderten-Peers, also Menschen mit ähnlichen Erfahrungen. Peer Counseling stellt eine Beratungsmethode für Menschen mit Behinderungen dar.
Hilfen für Angehörige, vor allem Kinder
Eine Behinderung beeinflusst die weitere Lebensgestaltung nachhaltig – nicht nur die der Betroffenen, sondern auch der Angehörigen, vor allem der Kinder. Ist die plötzliche Behinderung doch ein tiefer Einschnitt im Leben aller und stellt jeden vor eine riesige neue Herausforderung: das Leben „danach“. Gerade noch träumte man von einem ausgiebigen Bootsausflug oder einer Bergwanderung mit der gesamten Familie sowie Freunden und plötzlich ist alles anders. Nicht nur erwachsenen Angehörigen wird viel abverlangt – auch Kinder müssen sich auf die neue Situation einstellen. Eben noch der agile, sportbegeisterte Papa – jetzt ein Mann, der auf Hilfe und Unterstützung angewiesen ist.
Wie wichtig gerade jetzt Zusammenhalt, Kraft, Mut und Zuversicht, gegenseitige Hilfe und Unterstützung, Toleranz und Akzeptanz für alle Familienmitglieder sind, steht außer Frage. Oft kommt es jedoch vor, dass Angehörige an der neuen Situation zu zerbrechen drohen. Hier ist unbedingt Hilfe, bei Bedarf auch von außen, notwendig – der Wille des/der Angehörigen vorausgesetzt. Denn nur so kann man gemeinsam nach für allen akzeptablen Lösungen und Kompromissen suchen und diese finden.
Soziale Dienste können hier wertvolle Hilfe leisten, aber auch u. a. die Beratungsstellen der Kirchen, Ämter und darüber hinaus Kinderpsychologen.
Austausch mit Betroffenen via Netzwerk
Die UN-Behindertenrechtskonvention hat sich die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben zum Ziel gesetzt – unabhängig davon, ob mit oder ohne körperliche oder geistige Einschränkung.
Und dennoch gibt es nach wie vor im 21. Jahrhundert noch immer nicht die volle Akzeptanz von Menschen mit Behinderungen – zu sehen schon im Alltäglichen, wenn Ladentüren für Rollstuhlfahrer zu eng sind oder Treppen zu einem Gasthaus führen.
Umso wichtiger ist daher neben einer gezielten Öffentlichkeitsarbeit von Gesellschaft und Politik ein Austausch unter Betroffenen, nicht nur in Selbsthilfegruppen vor Ort, sondern auch via Netzwerk. Da kann es u. a. um neue gesetzliche Regelungen gehen oder um einen Erfahrungsaustausch zum Gebrauch von Hilfsmitteln oder um barrierefreien Urlaub oder berufliche Perspektiven, aber auch um solch alltägliche Dinge wie das Einkaufen. Das Internet liefert hierfür eine Fülle von Informationsmöglichkeiten und Kontakten.
Unter Stroke Units versteht man Spezialeinheiten für Schlaganfallpatienten, in denen die Betroffenen schnell, umfassend und fachübergreifend behandelt werden. Der englische Begriff „stroke“ lässt sich mit dem deutschen Wort „Schlag“ übersetzen, „unit“ bedeutet so viel wie „Einheit“.
Vorschau:
Verpassen Sie nicht unseren Teil 2 in der Juniausgabe zum Thema „Zurück ins selbstbestimmte (Berufs-)Leben – bestmögliche Hilfen und finanzielle Unterstützung“. Hier erfahren Sie alles rund um staatliche Leistungen wie den Schwerbehindertenausweis, über die einzelnen Leistungen der Krankenkassen und die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer beruflichen Rehabilitation mit Unterstützung der Berufsgenossenschaften (BG) wie etwa der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) zur Wiedereingliederung in den beruflichen Alltag.
Im abschließenden Teil 3 in der Septemberausgabe richten wir unseren Fokus dann auf das nicht minder wichtige Thema „Barrierefrei (um-)bauen und wohnen“. Ist ein Leben in der eigenen Wohnung oder im eigenen Haus noch möglich? Wie kann man alltägliche Barrieren abbauen, um auf das gewohnte soziale Umfeld nicht verzichten zu müssen?
Text: Claudia Egert
Fotos: elevate_unsplash.com, pexels.com, thisisengineering-raeng_unsplash.com, Dmytro Zinkevych_shutterstock.com
Quellen: berliner-behindertenzeitung.de, bvkm.de, familienratgeber.de, nd-aktuell.de, schlaganfall-hilfe.de, vbg.de