RESTERITTER – oder was?
RESTERITTER – oder was?
Drei junge Studierende haben eine ungewöhnliche Idee: Sie sammeln als Resteritter Obst und Gemüse, das sonst im Müll landen würde, und kochen Marmeladen daraus. Diese verkaufen sie dann für einen guten Zweck.
Montags früh müssen Uni-Veranstaltungen schon sehr wichtig sein, damit sie Studierende aus ihren Federn locken. Die drei Kieler Studenten Moritz Dietzsch, Nick Eßwein und Oke Hansen sind montags um 8 Uhr zwar nicht in der Uni – aber trotzdem schon auf den Beinen: Sie sammeln Äpfel, Pflaumen und Zwetschgen in privaten Gärten in und um Kiel. „Dafür fällt mir das Aufstehen leicht – weil ich sofort sehe, was ich geschafft habe“, sagt der 24-jährige Eßwein.
Dietzsch, Eßwein und Hansen sind Geographie-Studenten – und sie sind Resteritter. So nennen sie sich, weil sie Lebensmittelreste sammeln und einkochen. Obst und Gemüse, das sonst im Müll landen würde: Äpfel etwa, die in Kleingärten von den Ästen plumpsen und die niemand aufhebt, Clementinen, die nicht mehr makellos glänzen und kein Kunde noch kauft, oder Kürbisse, die zur Dekoration im Schaufenster eines Gemüsehändlers lagen. Die Resteritter kochen Marmeladen daraus – und verkaufen diese für einen guten Zweck: Ein Euro pro Glas geht an „Mach Mittag“, ein Projekt, das allen Schulkindern in Kiel ein warmes Mittagessen bereiten möchte.
Um 10 Uhr schleppen die drei Studenten das Obst aus einem Lieferwagen in die Küche der Kieler Arbeiterwohlfahrt (AWO). Für Uni ist noch immer keine Zeit. „Nun schnibbeln wir“, sagt der 22-jährige Dietzsch, der sich wie Eßwein und Hansen eine Schürze umschnürt. Zweimal pro Woche dürfen die Resteritter in der AWO-Küche Äpfel und Co. kleinschneiden, entkernen, einkochen und in Gläser abfüllen. „Die Küche ist gut ausgestattet und vom Gesundheitsamt abgenommen“, so Dietzsch.
Das Küchen-Radio dudelt vor sich hin. Dietzsch schneidet Ingwer im Akkord, Eßwein und Hansen greifen sich die Äpfel, die eben noch unter einem Baum lagen. Hansen schält und entkernt sie, dann schneidet Eßwein sie klein und wirft sie in einen großen Topf. Die drei sind eingespielt, alle Handgriffe sitzen.
Das geschälte und entkernte Obst kochen sie mit Zucker auf. Wenig später schmecken sie das Fruchtgemisch mit etwas Zimt ab, füllen es noch heiß per Kelle in Einmach-Gläser und kleben anschließend Etiketten darauf. Danach fahren sie die Gläser zu den Verkaufsstellen in Kiel. Vom Aufsammeln des Fallobstes im Kleingarten bis zum Auffüllen der Händler-Regale mit den Gläsern – Dietzsch, Eßwein und Hansen übernehmen jeden Arbeitsschritt.
Ihre Rezepte sind improvisiert. „Wir gucken, was wir haben, und entscheiden dann, was zusammenpasst“, sagt Dietzsch und greift ein weiteres Stück Ingwer. „Apfel und Ingwer passen super, Clementine und Banane auch – mein Favorit ist aber Birne mit weißer Schokolade.“ Besondere Zutaten wie Zucker, Zimt und Schokolade kaufen sie ein. „Das gesamte Obst aber retten wir – das würde niemand mehr essen, wenn wir es nicht einkochen.“
Die drei Studenten haben sich an der Kieler Uni kennengelernt. Dietzsch stammt aus Hessen, Eßwein aus Karlsruhe und Hansen stammen aus Flensburg. Sie trafen sich in einem Geographie-Seminar. Ihre Aufgabe: ein Projekt entwickeln, das nachhaltig und ökologisch ist. „Einerseits schmeißen Menschen Lebensmittel weg, andererseits haben viele Schulkinder auch in Deutschland nicht genug zu essen. Unsere Idee war, diese Punkte zu verbinden“, sagt der 23-jährige Hansen. Aus der Idee entstanden im vergangenen September die Resteritter. Am Anfang war es nur ein Uni-Projekt. „Doch alle, denen wir davon erzählten, fanden unsere Idee super – wir mussten einfach weitermachen“, so Hansen.
Dietzsch und Eßwein haben schon vor ihrem Studium Marmelade für einen guten Zweck eingekocht, in ihrem Freiwilligen Ökologischen Jahr haben sie sich für die Kampagne „Marmelade für Alle“ engagiert. Für Hansen war das alles neu. „Mit Lebensmitteln habe ich mich nicht besonders beschäftigt – und mit Marmelade schon gar nicht“, sagt er. Aber er wurde überzeugt. „Weil wir als Resteritter tatsächlich etwas Gutes bewirken. Ich bin eigentlich sehr kritisch, was soziale Projekte angeht – aber bei den Resterittern sehe ich keinen negativen Aspekt.“
Die Resteritter-Marmeladen sollen nicht nur den Hunger stillen, sondern auch ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Lebensmittel kostbar sind. „Der Handel wirft viele Lebensmittel weg, private Haushalte aber auch“, sagt Hansen. Das müsse nicht sein. „Bei Marmelade oder Apfelmus ist es doch völlig egal, ob der Apfel vorher braune Flecken hatte“, so Eßwein. Die drei Studenten bewahren die Lebensmittel vor der Abfalltonne: Wer sich etwa fragt, wohin mit seinen Quitten – der kann sich bei ihnen melden. Dann fahren die Resteritter mit ihrem Lieferwagen vor und packen die Quitten ein. „Und wenn ältere Menschen nicht mehr auf ihren Apfelbaum klettern können, kommen wir gerne vorbei und ernten“, sagt Dietzsch.
Das alles machen sie ehrenamtlich: neben der Uni sowie Jobs, mit denen sie ihr Studium und ihr Engagement finanzieren. „Es wäre schön, wenn wir uns irgendwann ein bisschen Gehalt zahlen könnten – und die Resteritter ein Nebenjob sind“, so Hansen. Vieles, aber nicht alles können sie alleine machen. „Zum Glück haben wir einige Unterstützer“, sagt Dietzsch. Dazu gehören etwa ein Obsthändler, der ihnen alles spendet, was er nicht mehr verkaufen kann, die AWO, in deren Küche sie kochen dürfen, oder ein Designer, der die Etiketten der Marmeladengläser entworfen hat. „Sie helfen uns, weil sie unser Projekt cool finden“, so Dietzsch.
Dass Geographie-Studierende nicht bloß Karten lesen, wussten sie bereits vor ihrem Studium. Aber dass sie als Folge eines Uni-Kurses viel Zeit in einer Küche verbringen würden, um Marmelade einzukochen, das hätten sie nicht erwartet. „Schon verrückt, dass Marmelade inzwischen ein wichtiger Bestandteil meines Lebens geworden ist“, sagt Hansen und lacht. Zu stören scheint sie das nicht, im Gegenteil: „Was wir hier machen ist kein Hexenwerk – aber es ist sinnvoll, davon sind wir überzeugt. Und deshalb macht es uns Spaß“, so Dietzsch.
Die drei Studenten werden montags um 8 Uhr auch weiterhin keine Zeit für Uni-Veranstaltungen haben. „Der Termin ist einfach geblockt“, sagt Hansen. „Wir wollen weitermachen – klar, und wir haben noch einige Pläne“, so Dietzsch. Ein Plan: mit Chutney-Rezepten experimentieren, um Lebensmittelreste auch als würzige Saucen zu retten.
Die Resteritter spenden einen Euro pro verkauftem Glas an „Mach Mittag“ – weitere Infos zum Kieler Projekt gegen Kinderhunger unter www.machmittag-kiel.de
TEXT: GEORG MEGGERS
Mit freundlicher Unterstützung und Nachdruckgenehmigung des sozialen Straßenmagazins für Schleswig-Holstein – HEMPELS