Mobilität auf zwei Beinen, vier Hufen und vier Rädern
Gianna Regenbrecht ist 27 Jahre alt, studiert Medizin in Münster, geht viel mit ihrem Dalmatiner Silas spazieren und ist erfolgreiche Para-Dressurreiterin. Welche Hilfsmittel der Powerfrau in ihrem aktiven Alltag helfen, welche Barrieren sie überwindet und welche Ziele sie in ihrem Leben verfolgt, hat sie uns erzählt.
Seit sie fünf Jahre alt ist, sitzt Gianna auf dem Pferd. Dass auch ein Reitunfall vor sieben Jahren nichts daran ändern wird, war für die Lippstädterin schnell klar. Ihr außergewöhnlicher Optimismus und Lebensmut hat sie zur amtierenden deutschen Vizemeisterin ihrer Startklasse und ihr Leben weiterhin sehr mobil gemacht.
Eigenständig dahinzukommen, wo ich gerne hinmöchte – so definiert Gianna persönlich den Begriff Mobilität. Dabei hilft ihr vor allem ein Rollstuhl, mit dem sie einfach schneller und kräftesparender unterwegs ist als auf ihren eigenen Beinen. Durch den Unfall ist sie inkomplett querschnittgelähmt und kann nur wenige Muskeln in ihren Beinen ansteuern.
Einige Schritte sind möglich, beispielsweise um den Rollstuhl in ihr Auto zu heben und einzusteigen. Dazu braucht es nicht nur Kraft in den Beinen, sondern auch in den Armen. Denn den zehn Kilogramm schweren Rolli hebt Gianna mit einem Arm in ihren SUV, um dann an der Dachreling gestützt zum Fahrersitz zu laufen und einsteigen zu können. Anderthalb Jahre nach dem Unfall bekam Gianna ein Auto mit Handgas. Und das war – wie für jeden jungen Menschen – ein riesiger Schritt in Richtung Freiheit und Mobilität, nachdem sie davor auf ständige Hilfe der Eltern oder Freunde angewiesen war.
Auf die Frage nach Hindernissen in ihrem selbstbestimmten Leben muss Gianna überlegen. „Blusen kaufen bei H&M ist vielleicht meine größte Barriere im Alltag, denn mit meinen muskulösen Oberarmen passe ich da nie rein“, lacht die heute 27-Jährige. Und damit ist ihre Liste der Barrieren auch schon zu Ende.
Kugellager-Killer
Vor allem ihr enger Freundeskreis und ihr Partner haben ihr gezeigt, dass sie trotz Behinderung auf nichts verzichten muss. Egal ob Festivals, Ausflüge oder ein Backpacking-Trip durch Kambodscha – die Para-Reiterin kommt überall hin – zum Leidwesen der Kugellager ihres Rollis, denn die mussten schon des Öfteren erneuert werden. Und falls doch mal Hilfe benötigt wird, hat Gianna kein Problem damit, auf Menschen zuzugehen und nach Hilfe zu fragen – aber erst, nachdem sie es selbst versucht hat, so ihre eigene Regel.
Ganzheitliches Training für große Ziele
Auf ihrem Pferd Selma spielt die körperliche Einschränkung keine Rolle. Gianna hat ihre sensible Stute mit ausgebildet und ersetzt die fehlende Kraft der Schenkel durch zwei Gerten, mit denen sie ganz feine Hilfen geben kann. Umso mehr spielt aber die restliche Muskulatur im Oberkörper eine Rolle, denn nur mit viel Rumpfstabilität kann Gianna ihren Sitz auf dem Pferd kontrollieren und durch Gewichtsverlagerungen das Tempo bestimmen. Damit ihr ganzer Körper das leisten kann, besucht Gianna einmal wöchentlich ein ambulantes Therapiezentrum und schätzt dort vor allem das ganzheitliche Training aus Physio-, Ergo- und Sporttherapie. Derzeit finden die Anpassungen für zwei computergesteuerte Beinorthesen statt, mit denen das selbstständige Laufen wieder deutlich besser möglich sein soll. All das hat sich Gianna hart erkämpft und viel trainiert. Für ihr sportliches Ziel, die Paralympics 2024 in Paris, steht auch noch ein bisschen Training an. Ihre privaten Ziele liegen im Abschluss ihres Medizinstudiums in Münster und ihr nächstes Reiseziel steht auch schon fest – Indien.
Fotos: Janine Honert, Text: Anke Nellen / BRSNW