Helle und dunkle Tage … aber eigentlich mehr helle
Helle und dunkle Tage … aber eigentlich mehr helle
Vivien kam mit einem Amnionband-Syndrom zur Welt. Die so genannten Amnionbänder- oder stränge gehen während der frühen Schwangerschaft in der Gebärmutter von der Fruchthülle aus und verlaufen zwischen Fetus und den inneren Eihäuten. In manchen Fällen legen sie sich zum Beispiel um Arme oder Beine eines ungeborenen Kindes und schnüren dort die Blutzufuhr ab. Die Folge sind unterentwickelte oder gar amputierte Extremitäten. Bei Vivien fehlten der linke Unterschenkel und die Endkuppen zweier Finger; der rechte Fuß war ein Klumpfuß.
Schon an ihrem 3. Lebenstag musste Vivien das erste Mal operiert werden. Es folgten sieben Wochen Intensivfrühgeborenen-Station im Inkubator. Denn neben den angeborenen Fehlbildungen erblickte Vivi auch schon in der 33. Schwangerschaftswoche als Frühgeburt das Licht der Welt. Für die Eltern Alexandra und Mirco gestaltete sich diese Situation nicht einfach. Obwohl Alexandra während der gesamten Schwangerschaft das Gefühl hatte, dass irgendetwas „nicht stimmt“, wurde ihr immer wieder versichert: „Alles in Ordnung!“ „Nach der Geburt sahen wir aber, dass eben nicht alles in Ordnung ist. Uns war schnell klar, dass wir möglichst offen und frei mit Vivis Handicap umgehen wollen!“, sagt Alexandra.
Trotz aller Widrigkeiten entwickelte sich Vivien altersgerecht und holte ihren Frühgeborenen-Status schnell auf. Mit 14 Monaten bekam sie ihre erste Unterschenkelprothese. Mirco erinnert sich: „Alles war damals sehr provisorisch. So konnte Vivien nur einen Schuh am „richtigen“ Fuß tragen. Die Größenverhältnisse hätten sonst nicht gestimmt. Aber wir waren glücklich, unsere Tochter erstmals stehen zu sehen!“
Vivien hingegen war zuerst eher unglücklich, weil „die These“, wie sie damals ihre Prothese nannte, sie störte. Aber schnell erkannte Vivi, dass man damit laufen kann. Und das geschah auf genau dieselbe Weise wie bei jedem anderen Kind in ihrem Alter: Zunächst lief sie seitwärts an den Möbeln entlang und dann frei. Und bald schon liebte Vivi ihre „These“ heiß und innig.
Als sie drei Jahre alt war, wollte sie plötzlich ihre Prothese nicht mehr tragen. Sie weinte und schmiss sie von sich. Für die Familie begann eine Odyssee von Arzt zu Arzt, von Klinik zu Klinik. In einer Universitätsklinik erkannte man zum Glück das Problem: Der Knochen wächst und drückt am Stumpf durch die Haut. Der Knochen wurde gekürzt und schon bald konnte Vivi ihre geliebte Prothese wieder tragen.
Leider tritt genau dieses Problem immer wieder auf und Vivien muss häufig operiert werden. Sie mag gar nicht im Krankenhaus sein und bis sie wieder mit der Prothese laufen kann, dauert es meist viel länger, als es Vivien lieb ist. Abgesehen von diesen Problemen entwickelt sich Vivi vollkommen normal. Alexandra lacht: „Ja, sie ist wie alle 9-Jährigen sehr zickig und vorpubertär!“
Wie es Vivi geht? Lest selbst:
Hallo, Soy Vivi. Das ist spanisch und heißt „Ich bin Vivi!“ Eigentlich heiße ich Vivien, aber alle nennen mich meist Vivi. Das dürft ihr auch gern! Warum ich mich so vorstelle? Ich bin ein großer Fan von Soy Luna. Die kennt ihr vielleicht aus dem Fernsehen: Das Mädchen mit den Rollschuhen! Ob ich jemals so gut werde wie sie, weiß ich nicht, aber ich laufe super gern Rollschuh und kann es schon wirklich gut!
Seit eineinhalb Jahren habe ich eine kleine Schwester. Die heißt Shania. Sie ist sehr lieb; ich mag sie wirklich gern und passe oft auf sie auf. Manchmal wird mir das aber zu viel und dann muss sie einfach aus meinem Zimmer verschwinden. Weihnachten habe ich so wild mit Shania getobt, dass sie sich auf mich geschmissen hat und ich dann drei Tage mit einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus musste. Das war nicht so toll.
Na, ich liege auch sonst manchmal im Krankenhaus. Das gefällt mir – ehrlich gesagt – überhaupt nicht. Meist muss ich dann operiert werden. Das ist eigentlich nicht so schlimm, weil nur ein Knochen an meinem Bein nachwächst und dann gekürzt werden muss. Sonst kann ich meine Prothese nämlich nicht tragen. Das Gehen tut dann so furchtbar weh.
Meine Eltern erzählen, dass das früher sehr oft gemacht werden musste. Aber auch heute ist es mir viel zu oft. Meist einmal im Jahr. Dann bin ich ein paar Tage im Krankenhaus. Anschließend muss der Orthopädietechniker ganz viel an meiner Prothese herumschrauben und bauen, dass ich dann wenigstens im Rollstuhl in die Schule kann.
Ach ja, Schule: Ich gehe in die 3. Klasse. Was ich da mag? Ich mag sehr gern Englisch und Deutsch. Mathe aber gar nicht! Aber sonst ist es da richtig gut und ich habe viele Freundinnen und Freunde.
Neben dem Rollschuhfahren bin ich auch noch in einer Tanzgruppe und spiele Flöte. Da hatte ich in der Weihnachtszeit ganz viele Auftritte. Das brachte mir viel Spaß. Jetzt freue ich mich riesig auf meinen Auftritt mit der Tanzgruppe zum Fasching. Leider tut mein Bein gerade wieder weh und ich muss meine Prothese nach der Schule ausziehen. Na, ich ahne schon, dass ich wieder operiert werden muss. Drückt mir mal die Daumen, dass das noch bis nach Fasching warten kann.
Einmal im Jahr fahre ich mit den AMPU KIDS weg. Das sind ganz viele andere Kinder, die auch nur ein Bein, einen Arm oder sogar noch weniger haben. Die Tour macht immer viel Spaß, weil wir da ganz viele Sachen unternehmen, von denen andere Menschen denken, dass man die nicht ohne Arm oder Bein durchführen kann.
Wir waren sogar mal in einem Hochseilgarten. Dort bin ich an einem Seil 14 Meter hoch durch die Luft geschwungen. Es gab Jungs, die älter waren als ich, und die sich das nicht trauten. Meist wohnen wir dort in einer Jugendherberge in Schleswig-Holstein an einem großen See. Im letzten Jahr gab es dort ein großes Sport- und Spaßturnier mit einem Sportverein. Die Kinder dort wollten gar nicht glauben, was wir alles können! Aber sie fanden das toll. Nachdem sie zuerst ganz genau geguckt haben, was wir haben – oder was uns fehlt – haben wir alle zusammen gespielt und verschiedene Wettkämpfe gemacht. Insgesamt waren wir 70 Kinder. Meine Eltern sagten: „Gewonnen haben alle!“ Was genau sie damit meinen, weiß ich nicht. Aber ich bekam auf jeden Fall einen Pokal und eine richtig tolle Urkunde!
Ich freue mich schon wieder auf unser Treffen in diesem Mai und bin gespannt, was Andrea von den AMPU KIDS sich diesmal für uns ausgedacht hat.
So nun muss ich zum Tanzen. Tschüß!
Ein Beitrag von Andrea Vogt-Bolm