Alzheimer und Musik
Welchen Einfluss Musik auf Alzheimer-Betroffene haben kann
Egal wo sich die Gefühle gerade verstecken, Musik findet sie.
„Wochenend‘ und Sonnenschein und dann mit dir im Wald allein…“ – herzhaft und laut singen die musikbegeisterten Senioren:innen mit, auch wenn die Töne vielleicht nicht mehr ganz so sicher klingen wie früher. Für einen kurzen Moment werden sie in ihre Jugend „zurückkatapultiert“ und so manch‘ wertvolle Erinnerung und damit verbundene Gefühle wachgerufen. „Ach wie waren doch die Tanztees schön. Dort habe ich meine große Liebe kennengelernt. Gustav hieß er.“ Ein seliges Lächeln huscht über Adas* Gesicht. Dass sie sich daran noch erinnern kann, ist nicht selbstverständlich. Denn Ada hat Alzheimer. Und ist damit nicht allein in ihrer Sangesgruppe, die sich – als Ort der Begegnung für Betroffene – einmal wöchentlich trifft. Ihre Familie ist glücklich über die Möglichkeit dieses kleinen, aber feinen Ausflugs in längst vergangene Zeiten.
Musik und Alzheimer haben eine besondere und faszinierende Verbindung zueinander.
Alzheimer ist neben Gefäßveränderungen im Gehirn die häufigste Ursache für eine Demenz – der unbarmherzigen Krankheit des Vergessens. Betroffene ziehen sich oftmals aus Scham und Traurigkeit zurück. Sei es wegen des fortschreitenden Problems der Wortfindungsschwierigkeiten oder der Lebensumstände im Alter durch diese Erkrankung oder dem allgemeinen kognitiven Abbau und dem daraus resultierenden „Nichtfolgenkönnen“ von sozialen Interaktionen. Meist kommen mehrere Aspekte für den persönlichen Rückzug zusammen. Dies kann jedoch nur schwer erforscht werden, mehr dazu auf www.demenz-portal.at. Angehörige wiederum erscheint eine Kommunikation mit dem betroffenen Familienmitglied nicht selten schwierig. Musik kann möglicherweise helfen, die kognitiven Fähigkeiten wie etwa die Aufmerksamkeit und die Leistung des Arbeitsgedächtnisses zu verbessern, wie eine randomisierte klinische Studie zeigt. Dabei funktioniert Musik wie ein Schlüssel, der die Tür zu Erinnerungen und Gefühlen öffnet. Musik lässt die Seele tanzen, tröstet und berührt. Und wirkt sich so positiv auf das Gemüt – die Stimmung – aus, was wiederum zu einer Reduzierung des psychologischen Stresses der Betroffenen führen kann. Dies bestätigen mehrere Studien.
Nicht nur Singen, sondern auch Hören von Musik oder Musizieren spricht jeweils unterschiedliche Areale im Gehirn an: „Das zentrale Nervensystem muss sich während unseres gesamten Lebens immer wieder an spezielle Anforderungen anpassen. Diese Fähigkeit wird als Neuroplastizität bezeichnet. Musik ist nachweislich eine wirksame Methode, um diese Fähigkeit zu erhalten beziehungsweise zu trainieren. Musik macht also nicht nur Spaß, sondern hat eine enorme Auswirkung auf unser Gehirn und damit auf die Funktionen unseres gesamten Körpers.“, nachzulesen auf www.demenz-portal.at.
Auch bei von Alzheimer Betroffenen sind diese Ergebnisse der Studie ermunternd. Meist stellt sich zur Musik ganz automatisch außerdem Bewegung ein. Und sei es nur ein Mitschunkeln. Nicht nur Gleichgewicht und Ausdauer können somit durch Musik trainiert werden. So können eine Sangesgruppe, ein Musikchor oder gar eine Musiktherapie durchaus hilfreich sein. Vorausgesetzt, der/die Betroffene möchte das auch, da Musik oder vielmehr bestimmte Lieder auch leidvolle, negative Erinnerungen aus der Vergangenheit hervorrufen können. Und falls der/die Betroffene mit Musik an sich bisher wenig anfangen konnte: Es ist nie zu spät, Neues zu erlernen. Auch mit gesundheitlichen Einschränkungen – Hauptsache, es macht Spaß und Freude. Zudem stärkt es das Selbstwirksamkeitsgefühl des/der Betroffenen.
Dieser Ansicht ist auch Prof. Dr. Hans Hermann Wickel, Musikwissenschaftler sowie Mitbegründer und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Musikgeragogik e. V. mit Sitz in Münster/Westfalen. Er ermöglicht älteren Menschen, welche mitunter krank und eingeschränkt sind, einen niedrigschwelligeren Einstieg ins Musizieren. Dabei achtet er auf Veränderungen im Alter und passt musikalische Angebote Schritt für Schritt an. „Stark Demenzkranke etwa kann man fast nur noch mit Musik erreichen. Das hängt damit zusammen, dass das musikbiographische Gedächtnis in der Nähe des motorischen Zentrums im Gehirn liegt. Da erlebt man solche Wunder, dass Menschen, die seit Wochen nicht mehr sprechen, ein Lied singen können mit allen Strophen. Die Erinnerung daran kommt durch die Musik.“, so Wickel. „Man ist nie zu alt zum Musik machen!“
*Name der Redaktion bekannt
Text: Claudia Egert
Quellen: apotheken-umschau.de, bagso.de, demenz-portal.at, zdf.de
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