Tina Deeken schwimmt sich frei
Wie ich beim Para-Triathlon meine Begeisterung fürs Para-Freiwasserschwimmen entdeckt habe und dann Para-Eisschwimmerin wurde
Alles begann mit der Anmeldung für den Maschsee-Triathlon in Hannover 2014 – zu einem Zeitpunkt, zu dem ich u. a. aufgrund einer Lähmung des linken Beines schon gar nicht mehr laufen konnte. Mir war vor dem ersten Triathlon einfach nicht klar, ob man „bestraft“ werden kann, wenn man nicht laufen kann und einfach so (vorsätzlich) nach dem Radfahren aufhört. Ich hatte ja keine Ahnung von dem Sport und es war auch absurd, mit etwas Neuem anzufangen, von dem man einen Teil gar nicht ausüben kann. Es war okay und hat Spaß gemacht! Viele Zwei-Drittel-Triathlons später kam ich über mehrere glückliche Fügungen dann zu einem eigenen Rennrollstuhl und damit zu meinem ersten inklusiven Finish bei einem Triathlon nach vielen Jahren des „Did not finish“ (des Nicht-ins-Ziel-Kommens)! Inzwischen habe ich inklusiv beim Triathlon Sprintdistanzen, olympische Distanzen und Mitteldistanzen gefinisht und war vielfach in meiner Lieblingsposition als Staffelschwimmerin im „Team Inklusion“ im Einsatz.
Als Kind war ich zwar bereits im Schwimmverein in meiner Heimatstadt Löningen, hatte dann aber vor allem leistungsorientiert Tennis gespielt. Dies war aufgrund eines angeborenen Hüftschadens, einer daraus resultierenden Operation als Jugendliche und mehrerer Bandscheibenproblematiken irgendwann nicht mehr möglich. Inzwischen bin ich im Alltag mit eine C-Brace-Ganzbeinorthese links, einer Knieorthese rechts und zwei Gehstöcken mobil. Neben den orthopädisch-neurologischen Einschränkungen habe ich auch noch eine Gerinnungsstörung (Von-Willebrand-Syndrom), die inzwischen substitutionspflichtig ist und auch gewisse Einschränkungen bei sportlichen Betätigungen mit sich bringt. Für den Sport nutze ich bei Volksläufen oder beim Triathlon für die Laufdisziplin den Rennrollstuhl oder aber bei großen Stadtmarathons wie in Hannover das Handbike. Beim Freiwasserschwimmen leistet mir meine Badeorthese hervorragende Dienste, zusätzlich bin ich insbesondere beim Wassereinstieg und -ausstieg, der ja in der Regel nicht barrierefrei ist, auf die Hilfe von lieben Mitschwimmerinnen und Mitschwimmern angewiesen. Und auch im Rennrolli habe ich im inklusiven Läuferfeld zur Sicherheit häufig eine Begleitläuferin oder einen Begleitläufer. Diese organisieren auch meistens den Rollitransport für mich. Ich finde diese großartige Hilfe nicht selbstverständlich und bin sehr dankbar dafür, dass ich so meinen Sport in inklusiven Zusammenhängen überhaupt ausüben kann.
Neben den Themen Parasport und Inklusion, die auch in meiner Arbeit als Förderschullehrerin an einer Grundschule immer wieder zum Tragen kommen, hatte ich noch die tolle Gelegenheit, mit meinem Trainingspartner Tobias Prüßner für den Umweltschutz zu schwimmen. Wir haben 2021/2022 in mehreren Etappen self-supported ohne Begleitboot auf 202 Kilometern die Oberweser durchschwommen (von Hannoversch Münden nach Minden), um teilweise in Kooperation mit dem BUND Niedersachsen auf die Versalzung der Weser aufmerksam zu machen.
Doch wie kam es nun zum Eisschwimmen? Im Oktober 2018 war ich beim traditionellen Abschluss der Sommer-Freiwasser-Saison beim Hafenschwimmen in Wilhelmshaven etwas traurig, dass die Open-Water-Saison schon wieder vorbei ist und es bis zum nächsten Frühjahr wieder ins Hallenbad gehen würde. Da sagte jemand, dass doch nun die Eisschwimmsaison losginge. Ich war allerdings der festen Überzeugung, dass das nichts für mich sei. Ich wusste ja auch gar nicht, wie die Lähmungen auf Kälte reagieren würden. Na ja, ich habe es versucht und bin einfach gemeinsam mit Trainingspartnern (Eisschwimmen als Extremsportart sollte man aus Sicherheitsgründen nie alleine machen!) weiter im Silbersee in Hannover geblieben. Die Schwimmzeit und -strecke wurden mit sinkenden Temperaturen immer kürzer, aber bereits im Dezember 2018 habe ich beim Silbersee Ice Cup meinen ersten Eisschwimmwettkampf (bei einer Wassertemperatur unter 5 °C) absolviert. Darauf folgten (natürlich mit Corona-Bremse) viele weitere.
Freiwasser und Eisschwimmen bedeuten für mich, die Freiheit zu haben, immer und überall schwimmen zu können – natürlich mit der Einschränkung, dass mir in der Regel jemand ins und aus dem Wasser helfen muss. So ist man nicht an Öffnungszeiten und Schwimmbäder gebunden und ist in der Natur (mit Tieren und Pflanzen) und ganz in den Jahreszeiten.
Bei langen Marathonstrecken im Sommer über viele Kilometer kann man prima vom Alltag abschalten und ist dann fast meditativ. Ähnlich ist es bei den kurzen Strecken im Eiswasser, bei denen ich nicht an Alltagssorgen denken muss, sondern mich ganz auf das Hier und Jetzt konzentrieren kann. Insbesondere das Schwimmen ist für mich nicht nur Sport, sondern auch Therapie. Mein Fuß ist noch nicht versteift, ich halte den Muskelabbau auf, das Schmerzniveau bzw. die Spastik fällt geringer aus, wenn ich wie JEDEN Morgen (dann allerdings in der Regel vor meinem Job im Frei- oder Hallenbad) im Wasser gewesen bin. Das schafft natürlich Selbstvertrauen, wenn man trotz zunehmender körperlicher Einschränkungen neue sportliche Herausforderungen schafft. Und es ist leichter, wenn man liebe Mitsportlerinnen und Mitsportler um sich herum hat, die einen bestärken, sich neuen Abenteuern zu stellen und diese zu meistern.
Text und Foto: Tina Deeken