Ich bin genug. Sendepause für den inneren Kritiker
„Du bist genug!“ Wer sagt sich so etwas aus vollem Herzen nach einem langen Tag? Oder vielleicht einem kurzen, an dem man wieder völlig k. o. neben dem Kind eingeschlafen ist. Den ganzen Tag herumgerannt und Sachen erledigt, doch die Wäschekörbe sind noch immer voll, die Küche nicht aufgeräumt. Für Sport hat die Energie nicht gereicht. Wie viele Stapel im Büro sind wieder liegen geblieben. Wer klopft sich schon selbst wertschätzend auf die Schulter und lobt sich: „Das hast du gut gemacht!“ Wohl die wenigsten von uns.
Pflegende Eltern – Spagat zwischen Glorifizierung & Selbstkasteiung
Wir gehen viel zu hart mit uns ins Gericht, haben auch das Gefühl, dass wir nicht mithalten können. Gerade pflegende Eltern werden sehr oft von anderen glorifiziert. Da heißt es: „Ihr macht es so toll!“ Dabei hat man selber gar nicht das Gefühl, das unbedingt besonders gut zu machen, sondern nur einem Minimum seiner nötigen Pflicht nachzukommen. So wie andere die Kinder zum Turnen oder Musikunterricht bringen, geht es bei uns zur Therapie und zu den Untersuchungen. Natürlich schwebt über uns immer noch ein Mehr – Verantwortung, Ängste, Teilhabekämpfe. Aber das macht einen noch lange nicht zum Helden, das kostet nur viel Kraft. Aber welches Kind kostet keine Kraft? Und unsere lieben Kleinen haben auch ihren Kopf und wollen, dass wir uns nach ihnen richten.
Doch da ist doch vor allem diese eine Sache: diese Vergleiche mit anderen – ob mit einem Kind mit Behinderung oder ohne –, Social-Media-Profile, die saubere, stylische Wohnungen und kreative DIY-Projekte von engagierten Eltern zeigen. Und im WhatsApp-Status sieht man ständig tolle Bastelarbeiten und Familienausflüge. Bei unseren Kids kommen noch neue Therapien oder Rehas, Sensorikspiele dazu – Dinge, die man alles machen könnte. So schaffen wir uns den zusätzlichen Druck gegenseitig und oft auch selbst. Manchmal werden Forderungen auch direkt ausgesprochen: „Habt ihr das noch nicht probiert?“, „Ich koche ja immer frisch und nehmen nichts Fertiges“, „Also möchte mich ja ganz auf mein Kind konzentrieren und nicht arbeiten gehen!“ – oder gerade andersrum.
Den inneren Kritiker besänftigen
Irgendwie ist alles ausgerichtet auf Selbstmarketing, das nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen muss. Obwohl uns das bewusst ist, bleibt doch oft das Gefühl, die anderen kriegen das viel besser hin – mit den Kids, der (Care-)Arbeit, dem Alltag. Aber egal, wie viel Mühe wir uns geben, es wird immer Leute geben, denen man es nicht recht machen kann. Und es geht eben nicht jeden Tag, sich zum Spielen zu verabreden, wenn auch noch Physiotherapie und diverse Anträge zu bewältigen sind. Das wissen wir alles. Doch es ist schwer, den eigenen Kritiker zu zügeln und mit sich selbst irgendwie ins Reine zu kommen.
Es sind doch genug Aufgaben zu stemmen in dieser Rushhour des Lebens. Alles fliegt nur so dahin und trotzdem fühlt es sich so an, dass vieles zu kurz kommt – vor allem man selbst. Dann ist zumindest gut, wenn man lernt, beim Blick in den Spiegel gnädig zu sein. Anderen gegenüber ist man nachsichtiger: Das Kind hat eine schwierige Phase, der Partner auch viel um die Ohren. Allen verzeiht man leichter außer sich selbst, wenn wir es unseren eigenen zu hohen Ansprüchen wieder nicht recht machen können. Das sollte bei den To-do-Listen obendrüber stehen: „Versuche, eigene Ziele realistischer zu gestalten und Vergleiche abzuschaffen. Tu nicht nach außen so, als wäre alles easy peasy, lass ungerechtfertigte Kritik abprallen – und ganz wichtig: Erteile dem eigenen inneren Kritiker, wenn er wieder loslegt, ein Redeverbot!“ Das ist mein aktuelles „Projekt“ und mit Sicherheit kein leichtes.
Text: Verena Niethammer
Foto: pexels.com